Schnittstelle Gesundheit und MINT: Digitalisierung im Hörakustiker-Beruf

Der Alltag von Schülerinnen und Schülern ist digital, nutzen doch viele von ihnen täglich Smartphones, Smartwatches, Tablets und mehr. Digitalisierung wird auch in ihrem Berufsleben eine zentrale Rolle spielen. Daher gibt dieser Fachartikel einen Einblick in das Thema "Digitalisierung im Beruf" am Beispiel des Hörakustiker-Handwerks, das traditionelles Handwerk und moderne Technologien verbindet. Da moderne Hörgeräte eine besondere Schnittstelle zwischen Gesundheit und Hightech darstellen, stehen die Anfertigungstechniken von Ohrpassstücken (Otoplastiken) und deren Innovation in Ausbildung und Meisterprüfung hier im Fokus.

Fachartikel
  • Biologie / Technik
  • Sekundarstufe I, Sekundarstufe II, Berufliche Bildung

Der digitale Alltag 

Die Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern ist digital geprägt. Die Digitalisierung durchdringt aber auch die Berufswelt, die sich durch technologische Innovationen stetig weiter ausdifferenziert. So auch im Hörakustiker-Handwerk, in dem Hörgeräte heutzutage Erstaunliches leisten können und mit entsprechenden Fachkenntnissen aus Physik, Informatik, Chemie, Biologie und Technik angefertigt werden. Für MINT-affine Schülerinnen und Schüler kann dieses Handwerk eine interessante Option in der Berufsorientierung darstellen. 

Von Audiostreaming bis KI-gesteuerte Hörgeräte  

Jedes Ohr ist anders. Menschen mit Hörminderung benötigen daher ein individuelles Hörgerät. Heutige Hörgeräte können aber deutlich mehr als "nur" Hörminderungen ausgleichen, denn mit ihnen sind ihre Trägerinnen und Träger vollumfänglich digital unterwegs. Die individuell angefertigte und programmierte Hörhilfe ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, ebenso ihre Bedienung über das Smartphone. Mit Bluetooth-Anbindung und Künstlicher Intelligenz (KI) können sie auf individuelle Hörsituationen eingestellt und mit digitalen Endgeräten wie Smartphones und Smart-TVs verbunden werden. Zukunftsmusik spielen auch cloudbasierte Hörsysteme für größeren Komfort in Eingewöhnungs- und Nutzungsphase sowie Hörgeräte, die dem gesunden Ohr nachempfunden sind und mit dem Gehirn gesteuert werden. 

Gesundheits-Controlling und Assistenz mit Hörgeräten 

Sogenannte Healthables machen es möglich, über die reine Hörgerätefunktion hinaus zu agieren, indem zum Beispiel medizinisch relevante Daten wie Blutzuckerspiegel, Pulsfrequenz oder Temperatur erfasst werden. Auch können Simultanübersetzungen oder Töne in Konzerten unmittelbar in die Hörhilfe eingespielt werden. Hörsysteme können sogar Fahrgeräusche beim Autofahren vermindern oder währenddessen per Datenübertragung Lokale mit vorteilhafter Akustik ermitteln. Geräte mit Bewegungssensor lösen bei einem Sturz der Nutzerin oder des Nutzers automatisch Alarm aus. Darüber hinaus existieren bereits Innenohrimplantate, die Gehörlosen das Wahrnehmen gewisser Töne ermöglichen. 

Voraussetzung dafür ist die individuelle Anfertigung von Hörhilfen, die heutzutage mit Digitaltechnologien unterstützt wird. 

Einblick in die digitalisierte handwerkliche Otoplastik-Herstellung 

Das Hörakustiker-Handwerk ist in der Digitalisierung fortgeschritten. Um Otoplastiken kostengünstig und passgenau herstellen sowie optimieren zu können, helfen 3D-Druck, 3D-Laserscanning und Modellierungssoftwares wie Computer-Aided Design (CAD) und Computer-Aided Manufacturing (CAM). Diese fanden bislang vor allem im industriellen Umfeld Anwendung. Bei der Otoplastik, dem Ohrpassstück, handelt es sich um einen Teil eines Hörgerätes, der individuell angefertigt wird, fix im Gehörgang sitzt und diesen mit dem Hörsystem verbindet. Otoplastiken können aber auch für Gehörschutz oder Im-Ohr-Kopfhörer individuell angefertigt werden.       

Die Gehörgangabformung wird entweder manuell erstellt und mittels eines 3D-Scanners digitalisiert oder direkt digital erfasst. Dabei wird eine 3D-Grafik der physischen Abformung mit einer Software bearbeitet und spezifiziert. Im Zuge dieses Vorgangs lässt sich somit ein digitales 3D-Modell der Otoplastik herstellen. Den Hörakustikerinnen und Hörakustikern ist es dadurch möglich, "individuell angepasste Hörgeräte zu entwerfen, die optimalen Komfort und beste Klangqualität [bieten]" (mrn-news.de). Das maßgefertigte 3D-Modell der Otoplastik wird schließlich am 3D-Drucker ausgedruckt, ausgegossen und entsprechend ausgearbeitet.  

Smarte Ohren und Hightech-Ohrsimulatoren: Technologie in Ausbildung und Meisterprüfung 

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert mit dem Programm "Digitalisierung in überbetrieblichen Bildungsstätten" die Technologie "smarter Ohren" zu Übungszwecken angehender Hörakustikerinnen und Hörakustiker: "Als bundesweit zentrale und weltweit größte Ausbildungsstätte des Hörakustiker-Handwerks ist der Campus Hörakustik in Lübeck die erste Berufsbildungseinrichtung in Deutschland, die die in Kanada entwickelten Hightech-Ohrsimulatoren im Unterricht einsetzt" (Akademie für Hörakustik). Ebenso werden diese bereits in der Prüfungsvorbereitung verwendet; auch in der dualen Ausbildung ist deren Gebrauch geplant. Im Juli 2023 fand erstmalig CAD-Modelling Anwendung in der Meisterprüfung, um zu gewährleisten, dass die Hörakustikerinnen und Hörakustiker diese neue Technologie nutzen und Kundinnen und Kunden anbieten können.

Fazit

Das Hörakustiker-Handwerk bringt als Gesundheitshandwerk Mensch und Technik zusammen. So einzigartig wie jedes Ohr ist, so individuell müssen auch Hörhilfen für Menschen mit Hörminderung sein. Der Herstellungsprozess von Otoplastiken (Ohrpassstücken) für moderne Hörhilfen und für Gehörschutz zeigt exemplarisch, wie Digitalisierung handwerkliche Tätigkeiten unterstützt und zukunftsweisend sein kann. Durch 3D-Laserscanning, 3D-Druck und Modellierungssoftwares werden die Formpassstücke individuell sowohl an den Menschen als auch an die technischen Anforderungen der modernen Hörsysteme als "winzige Hochleistungscomputer" angepasst – denn heutige Hörhilfen bieten weitaus mehr als die reine Hörgerätefunktion (wissenschaftsjahr.de).  

Digitalisierung in all ihren Facetten ist ein bestimmendes Thema im Leben und Alltag von Schülerinnen und Schülern. Der alltägliche Umgang mit digitalen Technologien wird auch ihr Berufsleben prägen. Wer sich besonders für MINT-Fächer und Technik interessiert und mit Menschen arbeiten möchte, kann im Hörakustiker-Handwerk eine berufliche Zukunft finden.

Verwendete Internetadressen

Akademie für Hörakustik. Auf Anfrage: https://www.afh-luebeck.de/kontakt/.

Arbeitsagentur. Online: https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/129408.

Bundesinnung der Hörakustiker. Online: https://www.biha.de/pages/filme/wdh_biha_otoplastik_jaspert.php.   

Der Hörakustiker. Online: https://www.der-hoerakustiker.de/ueber-uns/aktuelle-pressemitteilungen/305457.duale-ausbildung-in-der-hoerakustik---handwerk-mit-viel-hightech-und-beratung/.

Ihr Hörgerät: Audio-Streaming. Online: https://www.ihr-hoergeraet.de/audio-streaming-fuer-hoergeraete-in-neuer-dimension/.

Ihr Hörgerät: Hörtechnologie. Online: https://www.ihr-hoergeraet.de/hoertechnologie-die-naechste-generation-der-hoergeraete/.

Kompetenzzentrum Kommunikation. Online: https://www.kompetenzzentrum-kommunikation.de/praxisbeispiele/hoert-hoert-zwei-hoerakustiker-in-der-digitalen-transformation-446/.

MRN News. Online: https://www.mrn-news.de/2023/09/06/innovationen-im-hoerakustiker-handwerk-sind-nun-fester-bestandteil-der-meisterpruefung-511173/.

Wissenschaftsjahr. Online: https://www.wissenschaftsjahr.de/2018/neues-aus-den-arbeitswelten/berufe-im-wandel/berufe-wandeln-sich/hoerakustikerin-und-hoerakustiker/index.html.

Verwendete Literatur

Buckow, Marvin: "Otoplastiken Drucken oder Gießen?" hörPlus. Hören neu erleben. 

Online: www.hoerplus.de/blog/otoplastiken-drucken-oder-giessen/.

Köhler, Bernhard: "Herstellung weicher Otoplastiken im Cast Verfahren." detax.de. Online: https://www.detax.de/de-wAssets/docs/de/pressecenter-audio/Fachartikel/DETAX-Hoerakustik-Koehler-1505.pdf.

Weiterführende Literatur

Ulrich, Jens und Eckhard Hoffmann (2019). Hörakustik Basics: Das Wissen für die moderne Hörsystemanpassung. 3. Aufl. Heidelberg: DOZ.

Ulrich, Jens und Eckhard Hoffmann (2023). Hörakustik Praxis. Das Kompendium für die moderne Hörsystem-Anpassung. Heidelberg: DOZ.

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Autorin

Portrait von Dr. Eva-Maria Heinze
Dr. Eva-Maria Heinze

Dr. Eva-Maria Heinze ist Philosophin, Kunsthistorikerin, Autorin und Dozentin und im Bildungs- und Kulturbereich tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind Ethik und Nachhaltigkeit sowie Kunst, Ästhetik und Dialogik.

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